Wenige THA-Besucher kamen vermutlich mit ihr direkt in Kontakt. Dabei nutzt uns das Ergebnis ihrer Arbeit jeden Morgen schon beim Gang ins Bad. Und sie liegt direkt vor der Tür: Die Aggertalsperre. Sie und der lebenswichtige Stoff, den sie zurückhält, sollten uns ein Wochenende lang begleiten.
Wir fahren keine 20 Minuten, da eröffnet sich vor uns der Blick auf das ca. 45m hohe Bauwerk. Gebaut in den 20er Jahren, gefährdet im 2. Weltkrieg durch Bombenangriffe und renoviert in den 60ern, bildet sie ein zentrales Element in der Trinkwasserversorgung im Wassereinzugsgebiet der Agger. Koordiniert wird sie von Prof. Dr. Lothar Scheuer, Geschäftsleiter des Aggerverband, der uns an diesem Wochenende zuerst in die Aufgaben eines Wasserverbandes einführt und uns im Anschluss vor Ort die Sperre näherbringt. Wir starten am Fuße der Talsperre, wo uns direkt beigebracht wird, dass auch ein solch funktionelles Bauwerk kosmetisch ein wenig aufgewertet wurde. Zwar diente als Baustoff Gussbeton, zur ästhetischen Vollendung kleidet sie sich allerdings in einer dicken Schicht aus Bruchstein. Natürlich bleiben wir nicht oberflächlich und besichtigen die Kontrollgänge, zu denen die Öffentlichkeit keinen Zutritt hat. Hier befinden sich schließlich Knöpfe und Hebel, mit denen sich die Ventile und Klappen weiter öffnen lassen. Im oberen Gang entdecken wir dann eine horizontal verlaufende Fissur. Die sei das Ergebnis einer länger aussetzenden Bauphase aufgrund der Insolvenz des ersten Unternehmens damals, werde stets beobachtet, hätte sich aber bisher nie weiter ausgedehnt. Immerhin: Die Talsperre schwankt mit steigendem Wasserpegel um bis zu 1 cm! Im unteren Gang wird es dann feucht. Kondensationswasser („Schwitzwasser“) erzeugt hier den Eindruck einer menschengemachten Tropfsteinhöhle. Das sei aber nicht weiter schlimm, beruhigt uns Prof. Scheuer, lediglich das sogenannte Fugenwasser und Versickerungswasser werde streng überwacht und löse einen Alarm aus, wenn es zu viel würde. Mithilfe zweier Lote werden übrigens die besagten Verbiegungen kontrolliert. Ausgelöst hat dieser Alarm nur einmal – weil sich Schimmel im Wasser gefüllten Schwimmlot gebildet hatte. Heute verwendet man daher Öl.
Natürlich bleibt das Wasser nicht nur im Stausee, um Kajakfahrer und Taucher glücklich zu machen. Prof. Scheuer erklärt uns, dass ein der Staumauer nachgeschaltetes Wasserkraftwerk mit einer Leistung von 2-3 MW Strom für die Region erzeugt. Auch trägt sie zusammen mit Regenüberlaufbecken prophylaktisch durch vorzeitiges „Wasserlassen“ und akut bei Starkregen wesentlich zum Hochwasserschutz bei. Dass wir ein Problem mit Hochwasser haben, liege übrigens häufig am Menschen selbst, wie uns später von Dr. Matthias Schmitt, Leiter der Hauptabteilung Wasser der RheinEnergie AG klarmacht. Am Beispiel des Rheins verdeutlicht er, dass seine Begradigung, also die Beseitigung von natürlichen Nebenflüssen im Bereich des Oberrheins, ein gutes Stück flussaufwärts von Köln, erst die Aufnahmekapazität von Flusswasser dort verringert hat und Köln damit anfälliger für Hochwasser gemacht hat. Der Fokus seiner Arbeit liegt aber auf der Aufbereitung von Trinkwasser. Neben dem Spannungsfeld von historisch begründeten unterschiedlichen Versorgungssystemen links- und rechtsrheinisch lernen wir vor allem den Weg des Wassers zum Trinkhahn kennen. Über Rhein-nahe Brunnen wird das sogenannte Uferfiltrat gewonnen. Ehemalige Autobahnbaugruben dienen als Versickerungsbecken, damit das Uferfiltrat erneut durch den Boden gefiltert und im Anschluss mit Aktivkohlefiltern behandelt wird. Unter strenger Kontrolle der Schadstoffwerte wird es zusammen mit dem Wasser aus Klärwerken in das Netz gegeben und kommt gesünder als abgepacktes Wasser beim Wohnsitz des Verbrauchers an. Und das für 0,002 € pro Liter. Übrigens: Umfragen zufolge fänden die Hälfte der Befragten die Wasserpreise zu hoch, gerade einmal 20 Prozent wüssten allerdings wirklich, was sie bezahlen.
Die Diskussion um Preise oder Gebühren, die von den privat- oder öffentlich-rechtlichen Wasserversorgern erhoben werden, steht wiederum im Spannungsfeld der Monopolstellung der Wasserindustrie, der Deckung ihrer Kosten sowie der Außergewöhnlichkeit des Produktes und seinem Status als überlebensnotwendiges Grundbedürfnis. Prof. Dr. Mark Oelmann von der Hochschule Ruhr West gibt uns hier ökonomische Einblicke in die Regulierung von Wasserpreisen. Dabei stellt er das verpflichtende Benchmarking der 10 Wasserversorger in den Niederlanden dar („naming, faming, shaming“), nimmt Bezug auf einen Wettbewerbsansatz in England durch Zerstückelung der Industrieteile Trinkwassergewinnung, -verteilung und -vertrieb (ähnlich dem Energieversorgungsmodell) und kommt letztlich zum deutschen System. Hier nimmt ein fluktuierender Anteil der 6500(!) Trinkwasserversorger am freiwilligen Benchmarking teil – eine, laut Oelmann eher suboptimale Lösung. Eine weitere Kontrolle der Preise bzw. Gebühren nehmen dann Landeskartellbehörden bzw. Kommunalaufsichtsbehörden vor.
Nach dem ökonomischen Diskurs ist es nun aber Zeit für einen Perspektivenwechsel. Hier übernimmt Dr. Jochem Kail von der Biologischen Fakultät der Uni Duisburg, der uns in seinem Vortrag ökologische Grundlagen des Wasserkreislaufs vermittelt. Denn neben allen konsumorientierten Gedanken dürfen wir nicht vergessen, dass das Wasser viel mehr Funktionen erfüllt, als nur die menschlichen Bedürfnisse zu bedienen. Über den Konnektivitätsbegriff lernen wir die Vernetzung des Flusses mit seiner Umgebung kennen und werden auf eine historische Reise durch die Gewässerentwicklung und -belastung mitgenommen. Dabei erfahren wir wie der Rhein und viele andere europäische Flüsse ausgesehen hätten, hätte der Mensch im Mittelalter nicht schon die Meanderform künstlich herbeigeführt oder später an anderer Stelle die Flüsse tauglich für die Schifffahrt gemacht.
Der Vortrag wird durch einen Einblick in die EU-Wasserrahmenrichtlinie abgerundet. Der Wasserschutz wird nämlich überwiegend auf europäischer Ebene geregelt. Im Jahre 2000 in Kraft getreten zielt die Rahmenlinie darauf ab, bis 2015 einen guten ökologischen und chemischen Zustand unserer gesamten Gewässer herzustellen. Die wesentlichen Elemente der Richtlinie verpflichten die EU-Staaten zur umfassenden Analyse der Flusseinzugsgebiete, Einrichtung eines Überwachungsmessnetzes sowie Erstellung von flussgebietsbezogenen Bewirtschaftungsplänen, welche zyklisch, alle 6 Jahre an die aktuellen Gegebenheiten angepasst werden müssen.
Trotz später Stunde wartet auf uns noch die Wasserverkostung. Voller Erwartungen stellen wir unsere Gläser in der Reihe auf. Schon im Vorfeld wurde angeregt diskutiert, ob man überhaupt einen Unterschied schmecken würde und ob, sofern ein geschmacklicher Unterschied wahrnehmbar ist, es sich nicht um eine Einbildung handle. Die beiden Seminarleiter Swen Straßberg und Markus Fittkow, führen die Wasserverkoster mit gezielten Zwischenfragen auf den richtigen Geschmack. Mehrheitlich verblüffen die mitunter deutlichen Unterschiede zwischen den Wassern, die sich vor allem bezüglich Kalkhaltigkeit (weiches / hartes Wasser), Natriumgehalt und pH-Wert voneinander differenzieren.
Doch die abendliche Wasserverkostung blieb nicht das einzige „Hands-On“-Highlight des Seminars. Am Sonntagmorgen wartet auf uns ein ausführlicher sensorischer Schwellentest für die Geschmäcker sauer, salzig und süß. Swen Straßberg leitet uns durch die intensive Testung. Glas um Glas trinken wir die unterschiedlich konzentrierten Lösungen, um unsere persönlichen Schwellen für die jeweiligen Geschmäcker zu identifizieren. Einige von uns erweisen sich als besonders sensibel. Andere schmecken den Unterschied erst viel später bei einer der höher konzentrierten Lösungen. Allgemein stellen wir fest, dass es je nach Geschmackrichtung Unterschiede gibt. Sauer erkennen wir erst spät, Salzig wird hingegen auch von den eher „Unsensiblen“ schnell erkannt.
Am Ende des Seminars blicken die beiden Seminarleiter in hochzufriedene Gesichter. Welche Erwartungen oder Vorkenntnisse die Teilnehmer auch immer mit zum Seminar gebracht haben: Alle haben das Thema Wasser für sich entdeckt und Wasser, ganz im Sinne des AKIU, mit allen Sinnen erlebt. In stiller Hoffnung auf eine Seminarfortsetzung packen wir unsere mit hochqualitativen Leitungswasser gefüllten Flaschen ein und verlassen einmal mehr den Zauberberg.
Informationen zu den Autoren
Robin Schnelle
Studiert Humanmedizin an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster
Seit 2014 in der Grundförderung der FNF
Karolina Piaskowska
Studiert Integrated Design an der Köln International School of Design
Seit 2014 in der Grundförderung der FNF