„München leuchtete“ schreibt Thomas Mann zu Beginn seiner Erzählung „Gladius Dei“. Darin skizziert er München als Kunstmetropole ziemlich ironisierend – was die Münchner selbst aber noch nie daran gehindert hat, diesen Satz gerne und oft zu zitieren und ihn mit anderen Formulierungen wie „nördlichste Stadt Italiens“ oder „Weltstadt mit Herz“ zum Ausdruck selbstgefälliger Großzügigkeit zu machen. Ganz unironisch wird seit Jahrzehnten für ehrenamtliches Engagement jährlich die Medaille „München leuchtet“ verliehen.
„München leuchtete“ bezieht sich im Verständnis der Leute natürlich vor allem auf die Schönheit der Stadt und auf das Lebensgefühl ihrer Einwohner. Thomas Manns Ansichten zur Problematik der atomaren Endlagersuche kommen darin wahrscheinlich nicht zum Ausdruck, und auch mit den sonstigen Interessengebieten des AK IU hat dieser Satz erstmal nichts zu tun. Zumindest bislang nicht. Denn nach dem überaus erfolgreichen Seminar an der THA „Energie im Wandel“ Ende Oktober, fand vom 3. bis 5. November 2017 das zweite Strukturtreffen des Arbeitskreises passenderweise im herbstlich leuchtenden München statt.
Nach Ankunft in der Jugendherberge und Abendessen dort für die externen Stipendiaten, begann das straffe Arbeitsprogramm Freitagabend. Die Räumlichkeiten für das Seminar wurden freundlicherweise von der FDP München Mitte-West in der Goethestraße zur Verfügung gestellt, mitten im schummrig-schillernden Bahnhofsviertel gelegen. Nach üblicher Begrüßungs- und Vorstellungsrunden sowie Diskussion und Rückblick auf die vergangenen Errungenschaften des Jahres – allen voran oben erwähntes Seminar – begann bereits das umweltverträgliche Abbauen geistiger Rohstoffe, sprich: das Sammeln von Ideen und Konzepten für kommende Seminare. Die Einfälle waren vielfältig: von allgemein bioethischen Ansätzen und agrarwissenschaftlichen Innovationen, über Smart Cities und intelligente Müllvermeidung bis hin zu technischen Entwicklungen in Verkehr, Medizin und Gesamtgesellschaft ließen sie das breite Spektrum an Interessen, das der Arbeitskreis bündelt, erkennen und bildeten die Grundlage für ein spannendes Arbeitswochenende. Zunächst aber sollte der Freitagabend seine Chance bekommen, und klang anschließend in guten Gesprächen und einer improvisierten Stadtführung aus; einige fanden sogar den Weg in das legendäre Glockenbachviertel, die Heimat der Münchner Homosexuellenbewegung und bis heute bekannt für seine Ausgehkultur.
Für Samstagvormittag war eine Exkursion ins Deutsche Museum angesetzt, dem größten Technik- und Wissenschafts-Museum der Welt. Dort wurde die Gruppe durch die aktuelle Sonderausstellung „energie.wenden“ geführt, die bereits im Titel ein cleveres Wortspiel platziert: es gibt nicht nur eine, sondern viele Möglichkeiten, eine Energiewende vorzunehmen. Und wenn es nur eine geben soll, dann wird es im „wenden“ im besten Sinne zum Tun-Wort. Der Tourguide Herr Lucas führte die Gruppe mit markanten Sprüchen und salopper Wissenschaftlichkeit durch die Geschichte des Hauses und die Höhepunkte der Ausstellung. Er referierte über die Vor- und Nachteile sowohl fossiler, solarer und nuklearer Energiegewinnung als auch die mittels Wind- und Wasserkraftwerken. Es wurde klar, auch durch die kritischen Rückfragen der Stipendiaten, dass die Lösungen nie einfach sind, sondern die übliche mediale Darstellung an Komplexität weit übersteigen. Nach der Führung blieb ausreichend Zeit, den Rest der Ausstellung zu besuchen, die sich nicht nur mit Energiegewinnung, sondern auch mit der Nutzung von Energie beschäftigt, etwa den Problemen, die durch unreflektiertes Konsumverhalten und Lebensgestaltung entstehen. Ein spannendes Feature war das sogenannte „politische Parkett“ in der Mitte der Ausstellungsfläche – ein Spiel, bei dem die Besucher in die Rolle von Politikern schlüpfen sollen, die die Energiewende voranbringen wollen. Die Aufgabe für die Besucher besteht darin, mit einer Art Stempelkarte zu 10 verschiedenen Spielstationen zu gehen, bei denen auf Bildschirmen von Interessensgruppen – vom Atom-Lobbyisten über die Wasserkraft-Ingenieurin bis zum Endverbraucher, stets dargestellt von leicht überagierenden Schauspielern – Probleme der Energiewende beschrieben werden. Anschließend darf der Besucher Knöpfchen und Hebel drücken, sprich als Politiker Entscheidungen treffen: Die Spielkarte wird entsprechend gestanzt und am Ende des Spiels von einem Computer ausgewertet. Als Ergebnis erfährt man, welcher Politiker-Typ man sei, und wie die individuelle Vorstellung der Energiewende aussehe. In den Reihen der Stipendiaten waren interessanterweise viele Ansichten vertreten, alles von „Du willst die Natur schützen“ über „Du vertraust auf die Wissenschaft “ bis hin zu „Du denkst wirtschaftlich “.
Nach dem Mittagessen, zurück in den Seminarräumen, stellte Altkoordinator Phillip Debus den Bundesarbeitskreis Umwelt und Verkehr der Jungen Liberalen, den er mittlerweile leitet vor und sprach die Möglichkeit von Kooperationen mit dem AK IU an, denn die Verstärkung der Zusammenarbeit, um die Vorschläge aus dem Themenbereich voranzubringen, liegt beiden Parteien sehr am Herzen. Er stellte sich ebenfalls als neutraler Wahlleiter zur Verfügung für die anstehende Abstimmung: Nach kurzem Wahlkampf wurde Sabine Zips mit absoluter Mehrheit zur neuen Koordinatorin des AK IU gewählt. Mit ihr kommen nun schon zwei von vier Koordinatoren aus München, dem Millionendorf, das sich als guter Tagungsort und sehr geeignet für die sonst geographisch eher etwas benachteiligten süddeutschen Stipendiaten erwiesen hat.
Auch die Inlandsakademie 2018 wurde angesprochen, da sie unter dem Thema Nachhaltigkeit steht – einer der Organisatoren, Simon Leonard Hörmann, stand für Fragen zu Verfügung und warb um Kooperation und Beteiligung. Schließlich arbeiten die Teilnehmer in Kleingruppen weiter an den Seminarideen, was sich teilweise bis in den späten Abend zog und noch nach dem Abendessen beim gemeinsamen Ausklang und Austausch im Café Mozart debattiert wurde.
Sonntag früh schließlich wurden die zahlreichen, ausgearbeiteten Konzepte vorgestellt, und anschließend das Seminar für die zweiten Jahreshälfte 2018 an der THA gewählt. Einstimmig fiel die Entscheidung auf das Konzept mit dem Arbeitstitel „Zero Waste – Zwischen Askese und Innovation“. Dieses Seminar wird sich mit der Müllproblematik beschäftigen und der Frage, wie er intelligent vermieden werden kann: durch Innovationen in der Produktion, etwa kompostierbare Plastikersatzstoffe, über ganzheitliche Produktionszyklen wie etwa im Konzept von „cradle to cradle“, bis hin zu Anpassung des Konsumverhaltens und des Umgangs mit Ressourcen. Es ist geplant, Vertreter alternativer „Lifestyles“ einzuladen, die ihr Konsumverhalten bewusst anders gestalten – wie „Zero Waste“-Praktizierender oder Mönch. Einige der entstandenen Seminarkonzepte wie das Seminarkonzept „Transhumanismus“ sowie das Seminar zum Thema „TechnoSociety“, mit Unterthemen etwa zu Technikgeschichte, „Humanoid Robotics“ oder „predictive policing“, sollen außerhalb der THA umgesetzt werden.
Stark aufgestellt ging das Strukturtreffen zu Ende und sendet gute Signale für das stipendiatische Engagement in Sachen Umwelt und Innovation im Jahr 2018. Während die Teilnehmer Sonntagmittag ihre Rückreise antraten, blieb in der Stadt das Umweltthema unverändert heiß. Denn an jenem 5. November fand ein thematisch passender Bürgerentscheid statt: Die Münchner durften abstimmen, ob ein umstrittenes städtisches Steinkohlekraftwerk seinen Betrieb früher als vorgesehen einstellen solle – im Kern also auch die Frage, ob die Bedenken bezüglich der Versorgungssicherheit oder der Umweltverträglichkeit überwiegen. Eine Mehrheit von 60,2% votierte bei knapper Erfüllung des Quorums für die frühzeitige Abschaltung. Möglicherweise wird München in Zukunft also noch ein weniger heller leuchten – oder eben gar nicht mehr.
Informationen zum Autor
Florian Scheidl
Japanologie M.A.
Ludwig-Maximilians-Universität München
In der Grundförderung seit März 2017