Ozeanplastik, Lebensmittelverschwendung, Verpackungswahnsinn – die globale Abfallverschmutzung rückt zunehmend in den medialen Fokus. Der Konsumtrend hingegen verspricht immer mehr Convenience: noch mehr Verpackungen, noch mehr Lieferdienste, noch mehr Produkte des schnellen Verbrauchs.
Das Seminar „Zero Waste? Ressourcenverbrauch zwischen Verzicht und Innovation“, organisiert von Alix Bertrand und Isabelle Horster in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis Innovation und Umwelt, nahm vom 21.–23. September das Abfallproblem unter die Lupe. Diskutiert wurden alternative Konsummodelle, liberale Strategien der nachhaltigen Politik sowie die Rolle des Einzelnen im Bezug auf einen zukunftsfähigen Umgang mit globalen Ressourcen.
„Zero Waste“ ist ein ca. 20 Jahre junges Konzept der regenerativen Ressourcenallokation mit dem Ziel der gesamtgesellschaftlichen Transformation von der Linearwirtschaft („Wegwerfgesellschaft“) in die Kreislaufwirtschaft. Angestrebt wird ein „closed loop“ der vollständigen und unbegrenzten Wiederverwertung aller Rohstoffe. Ermöglicht werden soll dies u.A. durch Cradle-to-Cradle-Produktion (die vollständige Aufarbeitung von Abfallprodukten zu neuen Rohstoffen), Sharing-Initiativen (das Foodsharing, im Seminar vorgestellt von Stephanie Vochatzer vom Foodsharing Verein e.V., ist ein bekanntes Beispiel), jedoch vor Allem auch durch den persönlichen Beitrag des einzelnen Konsumenten zur Abfallvermeidung.
Was eigentlich sind Abfälle, die Reste unserer Zivilisation? Wie lässt sich unterscheiden, wo die Grenze zu ziehen ist zwischen Produkt und Abfallprodukt, zwischen Rohstoff und Reststoff? Nutzen und Nicht-Nutzen wird gesellschaftlich und kulturell durch Wertzuschreibung festgelegt: bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass unsere Zuschreibung von Wert fluide und dynamisch ist. Den Eigenwert eines jeden Produkts oder Rohstoffs bewegt sich auf einer Skala von „wertvoll“ bis „wertlos“. Was bei „wertlos“ ankommt, wird zu Abfall. Doch in welche Kategorie ein Ding nun wirklich gehört, kann je nach Sichtweise, unterschiedlich interpretiert werden. Es ist eine Frage der persönlichen Einstellung, und des Ressourcenbewusstseins, geprägt von Bildungshintergründen, ökonomischen Umständen, sozialer Schicht und kultureller Praxis. Zusätzlich beeinflussen Marktmechanismen dieses Wertesystem, insbesondere indem sie für ein ständiges Streben nach dem Neuen sorgen. Die Produktion reagiert darauf mit Einwegprodukten oder Dingen, die rasch verschleißen; ein nach der Strategie der so genannten „geplanten Obsoleszenz“ (also einem intendierten Wertverfall oder Funktionsverlust bald nach dem Kauf) hergestelltes Objekt kann dann zugleich neu und praktisch schon Müll sein.
Abfall ist also ein kulturelles Konstrukt, und daher schwer zu fassen. Für unsere natürliche Umwelt ist er eine reale Bedrohung. Diese Mehrdeutigkeit des Phänomens Abfall erschwert den adäquaten Umgang mit ihm. Aus Sicht von Nachhaltigkeitsexperten können Lösungsansätze nur holistisch sein: Dr. Henning Wilts und Paul Suski vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie etwa betonten in ihren Vorträgen die Unabdingbarkeit einer grundlegenden Transformation unserer Konsumwirtschaft und unseres Umgangs mit Ressourcen. Zugleich zeigten sie auf, dass das Abfallproblem als Teilkomponente eines übergeordneten Problems endlicher Ressourcen zu betrachten sei: Müll sei nur die Spitze des Eisbergs, Müllvermeidung nur eine Teilstrategie. Betrachtet man die Verfügbarkeit von Ressourcen und ihre Anwendungsmöglichkeiten in ihrer Gesamtheit und in Relation mit ihrer berechenbaren Verfügbarkeitsdauer sowie der Geschwindigkeit ihres aktuellen Verbrauchs, so muss sich die globale Gesellschaft die Frage stellen: Welche Art der Verwendung und des Einsatzes von Ressourcen erzeugt gesamtgesellschaftlich den größten und dauerhaftesten Nutzen? Es liegt auf der Hand, dass Abfälle in einem solchen Modell als Ressource gesehen werden müssen. Innovation, technischer Fortschritt und Cradle-to-Cradle-Ansätze (in einem weiteren Vortrag beispielhaft präsentiert von Promotionsstipendiat Marvin Henry) spielen hierbei eine tragende Rolle. Paul Suski wies jedoch auch auf die Grenzen von Innovation und Technik bei gleichbleibendem oder steigendem Konsumverhalten der Weltbevölkerung hin: Technische Innovationen sorgten hauptsächlich für Anpassungen in der Abfallbewältigung, trügen jedoch kaum zur Verringerung der Entstehung von Abfällen bei. Nicht zuletzt führen technische Innovationen oft durch die Effizienzsteigerungen, die sie erzielen, indirekt zur erhöhten Nutzung der Technik und dadurch zu einem unbeabsichtigt höheren Ressourcenverbrauch („Rebound-Effekt“). Viel wichtiger noch als Innovation sei daher der globalgesellschaftliche Wandel hin zur Ressourcensparsamkeit. Hier seien vor allem psychosoziale Anreize und globale Zusammenarbeit gefragt.
Eine ziemliche Mammutaufgabe für die Politik! Dennoch stimmte Dr. Lukas Köhler (MdB), Klimapolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag, seinen Vorrednern in den wesentlichen Punkten zu: er verwies auf die Bedeutung der 2016 durch die Vereinten Nationen formulierten Sustainable Development Goals (Agenda 2030) und betonte die Notwendigkeit der Integration bisher getrennt operierender politischer Zuständigkeitsbereiche sowie die Signifikanz supranationaler Zusammenarbeit. Zugleich warnte er vor der Gefahr, die politische Umsetzbarkeit von Nachhaltigkeitszielen im Regionalen und Lokalen aus den Augen zu verlieren – noch immer leide die Debatte unter vielen ungeklärten Fragen, gehe daher nur kleinschrittig voran, und oft auch mit den falschen Maßnahmen. Aufgabe liberaler Politik sei hier insbesondere, die Deregulierung einschränkender Kontrollmechanismen anzuregen, sowie ein günstiges politisches Klima für konstruktive Marktanreize zu schaffen.
Und was kann der Einzelne tun? Stephanie Vochatzer vom Foodsharing Verein e.V. und Dr. Henning Wilts waren sich einig, dass der einzelne Konsument auf die allgemeine Bewusstseinsbildung sowie die Schaffung von Marktanreizen einen entscheidenden Einfluss hat. Wichtig ist neben der wohlüberlegten Konsumentscheidung jedoch auch die Verbalisierung von Nachhaltigkeitsansprüchen beim Anbieter, beim Hersteller, beim Arbeitgeber, im persönlichen Umfeld, etc.: je deutlicher die Verbalisierung, umso rascher kann ein Bewusstseinswandel entstehen und auch der Markt sich anpassen. Auch die so genannten „5R“ der Zero Waste-Philosophie sind Maßnahmen, die jeder Einzelne nach seinen individuellen Möglichkeiten unmittelbar umsetzen kann: Refuse what you don’t need – Reduce what you do need – Reuse what you already have – Rot your organic waste – Recycle the rest.
Informationen zur Autorin
Nele Fabian
Promotion im Fach Geschichte Chinas
in der Promotionsförderung.seit 2016