Bericht: Freiheit in der Wissenschaft – Innovation um jeden Preis?

vom 19.10.2012-21.10.2012

Ein Seminar zu Stammzellenforschung und PID im Rahmen einer bio-ethischen Betrachtung

Seit den Fortschritten in den Bereichen künstlicher Befruchtung, embyronaler und adulter Stammzellenforschung und natürlich seit dem Klonschaf Dolly findet in Politik, Gesellschaft und Wissenschaft eine fortlaufende rege Diskussion über Gefahren und Möglichkeiten, Ängsten und Chancen dieser Forschungsrichtung statt. Auch nach dem Bundestagsbeschluss zur Präimplantationsdiagnostik (PID) bleibt das Bedürfnis nach einer weitergehenden Debatte. Zusätzliche Aktualität erhielt das Thema durch den in der Vorwoche an die beiden Stammzellforscher John B. Gurdon und Shinya Yamanaka vergebenen Nobelpreis für Medizin und die damit verbundenen neuen Erkenntnisse in der Stammzellenforschung. Die beiden Biologen Nikola Haneke und Michael Reinders aus dem Arbeitskreis Innovation und Umwelt griffen das Thema deshalb für ein umfassendes Seminar auf. Vom 19.10.2012-21.10.2012 fanden sich dazu Referenten aus Wissenschaft und Ethik sowie interessierte Teilnehmer in der Theodor-Heuss-Akademie in Gummersbach zusammen. 

Besonders förderlich für das sehr angeregte Diskussionsklima war die Zusammensetzung der Teilnehmergruppe: Stipendiaten wie auch stiftungsfremde Interessenten, Teilnehmer mit fachlichen Vorkenntnissen und fachfremde Studenten. Durch die sehr gelungene Gratwanderung zwischen fachlichen Details und allgemeinverständlichen Grundlagen kam jeder Teilnehmer auf seine Kosten. Der Grundgedanke der Organisatoren, als Naturwissenschaftler zu den zahlreichen zumeist geisteswissenschaftlichen Veranstaltungen der Stiftung auch ein naturwissenschaftlich ausgerichtetes Seminar anzubieten, kam bei allen Teilnehmern sehr gut an.

Den Auftakt des Seminars gestaltete Dr. Gérard Bökenkamp mit seinem Vortrag über die liberale Haltung zur Freiheit in der Wissenschaft. Mit diesen allgemeinen Ausführungen als Grundlage folgten am nächsten Tag zwei Vorträge, die im Gegensatz dazu zunächst die biologisch-technische Seite der Debatte beleuchteten. Prof. Dr. Andreas Faissner sprach dabei über die heutigen Möglichkeiten der Regenerativen Medizin und Stammzellenforschung. Dr. Jens C. Schwamborn vervollständigte mit seinem Vortrag über die Chancen und Möglichkeiten der adulten Stammzellen anschließend die kurze Führung durch biologische Grundlagen.

 Am Mittag wurden in einem Workshop unterschiedliche Haltungen aus Philosophie und Kirche zu den genannten Themen erarbeitet und vorgestellt. Die sehr vorhersehbare kirchliche Meinung sorgte für allgemeine Erheiterung. Die Haltungen der untersuchten Philosophen Peter Singer und Ludger Honnefelder wurden jedoch engagiert und kontrovers von den Teilnehmern diskutiert. Am Abend führte abschließend Dr. jur. Tanja Henking, LL.M., mit ihrer Präsentation über die rechtliche Entwicklung der PID in die juristische Dimension des Komplexes ein. 

Den mit dem Workshop eingeleiteten ethischen Teil komplettierte am folgenden letzten Tag Theresia Volhard vom Deutschen Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften Bonn (DRZE) mit ihrer kurzen Vorstellung des Zentrums und ihrer Tätigkeit. Danach folgte als Highlight und Abschluss des Seminars eine Podiumsdiskussion zwischen Dr. Schwamborn, Dr. Henking und Theresia Volhard. Da die Seminarteilnehmer schon die ganze Zeit hindurch zwischen den Programmpunkten, beim Essen und Abends bei einem Glas Bier ausgiebig zum Thema debattiert und viele weitere Fragen entwickelt hatten, konnte die starre Form einer Podiumsdiskussion bald zu einer offenen Debatte zwischen allen Beteiligten aufgebrochen werden.

Die grundsätzliche Frage, die während des gesamten Seminars und dann auch bei der Podiumsdiskussion mitschwang, ist die Frage nach dem Beginn des menschlichen Lebens. Die Antwort darauf beeinflusst schließlich maßgeblich die persönliche Einstellung bezüglich der in Deutschland verbotenen ES-Stammzellenforschung, PID und Abtreibung. Da der Embryo während der Forschungsaktivität zerstört wird, ist die Definition, ab wann ein werdender Mensch als Mensch mit Menschenwürde bezeichnet wird, für eine Beurteilung sehr wichtig. Schon hier gingen die Meinungen und Ansichten stark auseinander, sodass eine angeregte Debatte über das ganze Wochenende hinweg zu verzeichnen war. An die Frage der Menschwerdung und die damit verbundene Menschenwürde schloss sich die Diskussion an, ob hier nicht der Zweck die Mittel heile. 

Durch embyronale Stammzellenforschung könnten auf lange Sicht Erkenntnisse über die Bekämpfung vieler schwerer Erkrankungen wie Krebs oder auch Parkinson erlangt werden. Andererseits könnten diese Erkenntnisse eventuell auch durch eine verstärkte Forschung im Bereich der gesetzlich erlaubten Forschung an adulten Stammzellen, also Stammzellen erwachsener Menschen, bezogen werden. Auch der Bereich der in Deutschland nur sehr eingeschränkt erlaubten PID barg großes Diskussionspotential. Auf der einen Seite reichte die Debatte in die Stammzellendiskussion hinein, da bei einer künstlichen Befruchtung mehrere Embryonen erstellt werden, deren Überzahl aufgrund des Forschungsverbots an embryonalen Stammzellen (ES-Zellen) eingefroren werden. Dabei stellt sich die Frage, ob die Menschenwürde der Embryonen durch das Einfrieren besser geschützt wird als durch die Gewinnung wichtiger Forschungserkenntnisse zur Krankheitsbekämpfung o.ä. aus Untersuchungen der überzähligen Embryonen.

 Auf der anderen Seite kreiste die allgemeine Debatte um die PID-gestützte Auswahl des gesündesten Embryos, der dann der Mutter eingesetzt wird. Ist es moralisch vertretbar, über das Leben oder den Tod (bzw. in diesem Fall das Einfrieren) eines menschlichen Wesens zu entscheiden? Wer entscheidet dabei, mit welchen Krankheiten das Leben noch lebenswert bleibt, und mit welchen nicht? Auch eine mögliche Zuspitzung der Thematik durch die Überlegung der ungewollten Eugenik oder die Erschaffung von „Designerbabys“ wurde dabei berücksichtigt. Über der gesamten Thematik schwebt dabei auch immer die Frage, in welcher Gesellschaft wir leben möchten. Heißt Pluralität, Unterschiede und Krankheiten zu akzeptieren? Sind wir es den Menschen schuldig, schlimme Krankheiten und Behinderungen möglichst zu verhindern? Oder kann das Aussortieren erbkranker oder behinderter Embryonen zu einer weitergehenden Diskriminierung Behinderter führen? Gibt es das Recht auf ein gesundes Kind? Inwieweit darf der Mensch eingreifen in den natürlichen Lauf des Lebens? Auch das Aufkommen einer möglichen Zweiklassengesellschaft – Menschen, die sich eine ausgedehnte PID leisten können, und solche, die dies nicht können – im Gesundheitssystem wurde in diesem Zusammenhang diskutiert. 

Es ist selbstverständlich, dass bei einer derart vielschichtigen und ethisch sehr schwierigen Fragestellung eine eindeutige Lösung utopisch ist. Dennoch konnten anhand der fundierten Vorträge und durch den Austausch untereinander individuelle Meinungen gebildet werden. Großartige Diskussionen, die naturwissenschaftliche Ausrichtung und die hervorragende Organisation von Nikola Haneke und Michael Reinders machten das Seminar zu einer ganz besonderen Veranstaltung. Alle Teilnehmer waren sich abschließend einig darin: Gerne wieder!